Jürgen Görg
Der Graphiker Jürgen Görg wurde im Jahre 1951 in Dembach geboren. Nach dem Abitur, das er 1970 in Koblenz ablegte, nahm er ein Studium der Kunsterziehung an der Universität in Mainz auf. Bereits während seiner Studienzeit wurde dem jungen Künstler klar, daß ein fester Beruf sein graphisches Schaffen nur einengen würde, und er entschied, freischaffend tätig zu sein. Seit 1977 ist Jürgen Görg Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler Rheinland-Pfalz. Im Laufe der Jahre fand der Künstler zu einem unverwechselbaren graphischen Stil. Die motivische Fülle seiner Arbeiten erschließt sich dem Betrachter häufig erst nach längerem Hinsehen.
Stets zeigt Görg im Mittelpunkt seiner skizzenhaft anmutenden Lithographien die menschliche Figur. Vorzüglich belebt eine flüchtige Technik, die der Künstler souverän beherrscht, seine Kompositionen. Schwungvolle Linien bilden die Körper, zarte Schraffuren führen zu höchst plastischen Modellierungen. Doch scheinen bei aller Schemenhaftigkeit die Körper wie aus glattem Marmor gemeißelt. Einzelne Körperteile lösen sich dabei auf, vereinen sich mit dem Blattgrund und führen zu einer beinahe torsohaften Behandlung der Figuren. In Görgs Blättern weht der Geist der griechischen Antike, deren Menschenideal den Künstler zu eigenen Figurenschöpfungen inspirierte. Besonders seine weiblichen Akte, die er in unzähligen Variationen gestaltete, offenbaren eine grazile Zartheit und Ausgewogenheit. In einer großformatigen Farblithographie etwa zeigt Jürgen Görg im Blattmittelgrund einen leichtbekleideten weiblichen Rückenakt. Gegenüber der zentralen Frauenfigur sitzt ein dunkel gewandeter Mann mit weitem schwarzem Umgang. Beide Figuren sind bewußt unvollständig ausgearbeitet. So lösen sich sowohl der Unterkörper des Mannes als auch die Waden der Frau vollkommen auf und verschmelzen mit dem hellen Blattgrund. Schwungvolle Linien und Striche überziehen die Figurengruppe.
Zarte Parallelschraffuren und variationsreiche Grauabstufungen modellieren vorzüglich die Körper. Den aufgesplitterten Charakter der Komposition verstärken zahlreiche Puzzleteile, die die Figurengruppe zergliedern. Indem etwa das Gesäß der weiblichen Aktfigur, ihr Rücken oder Oberarm wie auch die Vorderseite der männlichen Gestalt aus Puzzleteilen gebildet werden, erreicht der Künstler eine höchst lebendige Fragmentierung. Zugleich verstärkt er so den unfaßlichen, sich auflösenden Eindruck der Komposition. Eine verwirrende Formfülle zeigt gleichfalls eine andere Arbeit von Jürgen Görg, die den Titel „Ausschneidebogen" trägt. Dargestellt ist im Bildzentrum eine nackte weibliche Figur mit vor der Brust verschränkten Armen. Feine Farbabstufungen in Grau und Beige verleihen der Frauengestalt die Für Görgs Arbeiten typische Fragilität. Um die zentrale Figur ist eine Vielzahl von Kleidungsstücken und Accessoirs wild verstreut.
Eine Brille, Schuhe, ein Rock, ein Hut, eine Bluse, Unterwäsche wie auch einzelne Körperteile bilden das von figürlichen Ausschneidebögen her bekannte Zubehör, mit dem die nackte Frau beliebig ausstaffiert werden kann. Heitere Farben, in denen der Künstler einige Kleidungsstücke hält, beleben dabei meisterlich die Komposition.
Plastische Schraffierungen treten in dieser Arbeit zugunsten einer deutlichen Konturierung in den Vordergrund, mit der Jürgen Görg die Flächigkeit der verschiedenen Ausschneideteile betont. In mehreren Arbeiten variiert der Graphiker das Motiv der Muse. Bevorzugt stellt er die aus der Mythologie bekannte weibliche Figur mit Violoncello dar. Eine großformatige Komposition zeigt eine cellospielende Muse inmitten eines verwirrenden Gewimmels aus Musikern, die im Hintergrund auftauchen, aus Raubtierköpfen, Augenmasten und Instrumententeilen. Höchst virtuos folgt die Krümmung des mächtigen Cellos dem angewinkeltem Oberschenkel der Muse. Aus dem Bauch des Instruments ragen zwei überdimensionale Hände, die eine Augenmaske halten.
Ein Bein der verführerischen Frauenfigur verwandelte der Künstler in eine Klaviertastatur. Den surrealen Effekt der Komposition verstärkt der Kopf eines Raubtieres, der in die linke Bildhälfte hineinragt. Die motivische Vielfalt der Arbeit ergänzen ein Saxophonist und ein Gitarrenspieler, die im Hintergrund auftauchen und ganz mit diesem verschmelzen. Vorzüglich wird das virtuose Spiel der Musiker in wilden Schraffuren, in sich auflösenden Formen und in den mannigfachen Grauabstufungen erfahrbar. Zusätzlich belebt ein in traditionellem Schachbrettmuster verlegter Fliesenboden die Komposition. Den vitalen Eindruck des Blattes ergänzen zarte Akzente in Rostorange, mit denen Görg die Muse selbst, den Hals ihres Cellos wie auch die Augenmaske unterstreicht. In einer anderen Komposition des Künstlers taucht allein die musizierende Muse auf. Vor zartgrauem Hintergrund heben sich der schlanke Frauenkörper und das Cello ab. Ein faltenreiches, antikisierendes Gewand kleidet die weibliche Figur. Grazil biegt sich ihr Körper unter den Klängen der Musik.
Der tänzerisch gedrehten Körperbewegung folgt die expressiv geschwungene Krümmung des gelängt dargestellten Instrumentenhalses. Meisterlich thematisiert der Künstler in dieser Komposition Bewegung und musikalische Virtuosität. So wiederholen sich etwa in zarten Andeutungen die Voluten-verzierungen des Cellohalses, Zusätzlich betonen schwungvolle Farbwischer in Grau die Biegung des Instruments. Jürgen Görgs ästhetische Lithographien und Radierungen, die stets eine sichere Beherrschung der Technik erkennen lassen, wurden bereits mehrfach mit begehrten Preisen und Ehrungen ausgezeichnet. Unter anderem erhielt der Künstler 1980 die Förderpreise des Landes Rheinland-Pfalz für Graphik und für Malerei. Mit seinen individuellen Arbeiten hat sich Görg einen festen Platz in der graphischen Kunst unserer Zeit erobert. Seit 1978 waren seine Kompositionen bereits auf über vierzig Einzel- und Gruppenausstellungen mit großem Erfolg zu sehen. In Sammlerkreisen sind Jürgen Görgs Lithographien und Radierungen äußerst begehrt.